Lazy Sunday

Es ist das erste veritable Sommerwochenende. Während man auf dem Festland stöhnt und vor Hitze in den Großstädten gewarnt wird, weht hier ein komfortables Lüftchen. Zum ersten Mal in diesem Jahr ist es draußen wärmer als drinnen und man kann ohne Jacke das Haus verlassen.

Unter meinem Fenster höre ich neben knarzenden Rollkoffern oder quietschenden Bollerwagen englische und holländische, dänische oder tschechische Laute, manchmal auch Hamburger Singsang, breites Sächsisch oder badisches Plaudern.

Der Rhythmus der Insel ist bestimmt durch An- und Abreisen.

Die Insulaner haben während der Saison kein Wochenende.

Saison bedeutet, dass durchgearbeitet wird. Das ist in Teilen auch bitter nötig, denn während der letzten ‘Corona’-Jahre sind die Rücklagen mancher Geschäftsleute ziemlich dahingeschmolzen.

Die Schnucken halten Mittagsschlaf.

Am Horizont zieht der Rest des nächtlichen Unwetters langsam ab.

Heckenrosen entfalten ihre filigranen Blätter,

während Disteln die ersten Blüten austreiben.

Die lange Anna und der Lummenfelsen ‘gehören’ jetz fast ausschließlich den Gästen.

Bei den Basstölpeln ist Babyzeit.

Noch sind nicht alle geschlüpft. Noch ist Zeit für ein Ei

und Zärtlichkeiten

oder ein Mitbringsel zum Nestplostern.

Manche dagegen haben schon echte Bratzen, die ihre Eltern langsam aus dem Nest drücken.

Am Horizont parken die Geisterschiffe – Containerburgen, die vor der Küste auf Reede liegen, um in den Hamburger Hafen eingelassen zu werden. Heute zähle ich 28.

Manchmal ist es beruhigend, dass in dieser Welt, die sich gerade so schnell verändert,

einiges gleich bleibt und seinem Gang folgt.

– der zweite Sommer ohne T.

…. comptine d’un autre été ….

War was?

Hmmm, ein ganz klares Jein. Ich war ein wenig blogfaul in den letzten paar Tagen.

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Aus irgendeinem Grund stehe ich in letzter Zeit meistens zu der Zeit auf, zu der ich früher üblicherweise ins Bett ging. Und, ach ja, die schicken Spaßyachten aus Hamburg sind wieder da. Die Saison ist angelaufen und sogar das Wetter hält sich an den Fahrplan.

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Klein-Sille vom Festland hatte gefragt, ob ich ihr nicht ein paar Old-School-Gummistiefel für die kommende Open-Air-Saison besorgen kann, weil, na klar, wir tragen ja nix Anderes hier im hohen Norden ;-) .

Tatsächlich kriegt man die hier bei den Offshore-Ausrüstern zum Schleuderpreis. Nur bei der gewünschten Schuhgröße mussten sich die Jungs erstmal vor Lachen hinsetzen: Nee, die müssen wir dir bestellen.

Hat dann aber auch geklappt. Gerade rechtzeitig zum Muttertag! Yippie!

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Ansonsten ist halt Sonntag. Und ein Sonnentag. Viele Menschen kommen vom Festland an, um sich durchlüften zu lassen, viele müssen wieder zurückfahren.

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In Helgolands Hinterhof, dem Südhafengebiet, in dem ich wohne, sonnt sich der Wildkohl zwischen Frachtcontainern und Bierfässern.

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Donald Tr*mp hin oder her, bis auf Weiteres bleibt dieser Planet bewohnbar.

Au weia

In den vergangenen Tagen habe ich einige besorgte Mails erhalten und eine Freundin hat sogar vom Festland aus hier angerufen. Wahrscheinlich, weil es in den letzten paar Einträgen hier im Blog nicht mehr so viel um Heimatkunde und Wetterlagen ging, sondern um die Gedanken, die ich mir um ein paar Schicksals-Klopper mache. Seit Beginn des Jahres sind einige traurige Dinge geschehen.

Und die Stille hier auf der Insel bewirkt, daß ich auch in dieser Situation meine eigenen Gedanken sehr gut hören kann. Hier gibts keine Verkehrsstaus oder Blödmänner in der U-Bahn, die mich davon ablenken.

Mein Alltag sieht halt oft so aus.

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Macht euch keine Sorgen, das ist Alles ganz normal.

Komische Vergleiche (ein Sonntagsspaziergang)

Am Sonntagmorgen ist das Wetter so lala, der Espresso ganz vorzüglich und da ist auch noch das neue Buch, das mir eine liebe Freundin vom Festland geschickt hat. Anscheinend habe ich es gestern Abend aber etwas übertrieben, denn beim Anblick der ersten bedruckten Seite murren meine Augen: Och nöö, jetzt nicht, wir haben noch Muskelkater.

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Also gehe ich stattdessen in den Südhafen. Da ist nicht viel los um die Zeit. Mach keine Welle, sagt das Schild an der Südkaje. Rauchen verboten steht da nicht, also bin ich ganz still und rauche vor mich hin.

Ein Stück weiter liegt die MS Helgoland wie ein niegelnagelneuer Touristenbus mit allem möglichen Luxusschnickschnack. Ein tolles, komfortables Fährschiff, nur die tropfenförmigen Fenster am Atrium, da, wo der Fahrstuhlschacht wie ein Schornstein aussieht, naja, hm.

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Ich gehe weiter und wo wir gerade bei komischen Vergleichen sind… Dahinter liegt die Groden, ein Lotsentransferschiff und ein SWATH-Design. Nicht gerade elegant, aber der neue heiße Sch**ß im Schiffsbau. Da bleibt auch bei schwerer See der Kaffee in der Tasse und das Frühstück im Lotsen ;-) .

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Sozusagen einer dieser nichtssagenden Kombis für Berufsreisende auf der Autobahn, aber in Wirklichkeit mit allem technischen Superklimbim an Bord und sechsstelliger Kilometerzahl auf dem Tachometer.

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Auf der anderen Seiten des Hafenbeckens liegen die World Scirocco, ein merkwürdiger Hybrid aus SWATH und Trimaran (einer von diesen Baustellen-LKWs mit den riesigen Stollenreifen), daneben die Hermann Marwede, der größte Rettungskreuzer der Welt. Der Bergepanzer von der Feuerwehr, 46 Meter lang. Und kann Eskimorollen machen.

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Auf dem Rückweg laufe ich an der Helikopterstation der Bundesmarine vorbei, aber der Rettungshubschrauber ist im Hangar. Etwas abseits steht ein kleiner Charter-EC135 und wenn die Sea King der Nachtbus ist, ist das hier wohl der silberne VW Golf von der Autovermietung.

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Auf dem Rückweg komme ich im Binnenhafen noch an einem Arbeits-Prahm vorbei. Ein Baustellenwagen, tja.

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Und am Taucherheim der Biologischen Forschungsanstalt hängt ein Orientierungswegweiser, bei dem ich keinen merkwürdigen Vergleich mehr erfinden muß.

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Sie befinden sich hier. Vor siebzig Jahren.

Der Weg

Sonntags ist mein arbeitsfreier Tag, aber nachmittags habe ich trotzdem einen Termin, um einer netten älteren Dame zu erklären, warum wir gerne an ihrem Balkongeländer eine Freifunk-Antenne montieren möchten. Sie wohnt nämlich am oberen Ende der Steilklippe mit einer super Sichtlinie auf die Router im Unterland.

Tatsächlich reden wir auch ein wenig über Freifunk, verzetteln uns dabei aber andauernd zu ganz anderen Themen: Dieser merkwürdige Felsen, diese merkwürdige Welt, dieses merkwürdige Leben. Als sie zum ersten Mal hierher kam, krabbelte ich noch auf allen Vieren.

Danach gehe ich über das Oberland. Warum, ich weiß es nicht. Vor und hinter mir verschwimmt der Weg im Nebel. Weitergehen, bitte weitergehen, hier gibt es nichts zu sehen, scheint die Welt zu sagen.

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Der Leuchtturm ist nahezu unsichtbar und die Kraterlandschaft des Oberlandes könnte man mit etwas gutem Willen für sanft geschwungene Hügel halten.

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Hinter der Langen Anna verschwindet die Nordmole des nie vollendeten Hummerschere-Hafens im Nichts.

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An der Radarstation schauen Reste der alten Nazibunker unter der Grasnarbe hervor.

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Hier endet der Weg an der ehemaligen Aussichtsplattform, die im vor-vorigen Dezember in die Nordsee stürzte; ich stehe da im Wind und frage mich, wie ich hierher gekommen bin und was dieser Ort für mich bedeutet. (Und sorry, sorry, ich verrate es an dieser Stelle nicht.)

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Auf dem Rückweg sehe ich hinunter zum Nordost-Strand. Jemand hat ein großes Herz für Eva auf den Strand gezeichnet.

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In spätestens sieben Stunden wird die Flut es wieder mit sich nehmen, aber jetzt lächle ich und denke: Herzlichen Glückwunsch, Eva, wer immer du auch bist.

White-Out

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Normalerweise schneit es nicht auf Helgoland. Heute ist aber nicht normalerweise.

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Ich wickele mich in meine besten Thermoklamotten, um ein paar Fotos zu machen. Nach 10 Minuten bin ich wieder zurück.

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Geht nicht. Zu kalt.

Im großartigen geheizten Zimmer rechne ich dann nach. Oh, minus 25 Grad Windchill-Temperatur. Ach so.

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Und dann ist da noch das Problem, daß der Schnee nicht liegenbleibt. Nein, er taut nicht, er fliegt ‘rum.

Es schneit aus allen Richtungen gleichzeitig, also nicht einfach von oben auf den Boden, sondern eher so die Wände hoch.

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Also gebe ich auf und gehe wieder nach Hause. Da, wo traulich die Freifunk-Router blinken ;-) .

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Oha, die Bandbreite auf den Mesh-Verbindungen zwischen den einzelnen Routern ist durch das Schneetreiben um acht Prozent gesunken. $%&#???!

Wieder zu Hause

Die Reise zur Fusion war voller kurioser Erlebnisse und Kulturschocks, die gewissermaßen bei der Ermittlung des eigenen Lebensmittelpunktes hilfreich sind. In der terrestrischen Navigation muß man sich auch ein wenig auf dem Erdball hin- und herbewegen, dann kann man durch Winkelmessung und Kreuzpeilung herausfinden, wo man sich eigentlich befindet.

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Leider ist Berichterstattung über das Festival durch die Veranstalter und die meisten Teilnehmer generell unerwünscht, ein Standpunkt, den ich zwar in seiner Pauschalität unsinnig finde, aber dennoch respektiere.

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Inzwischen bin ich wieder auf den Felsen zurückgekehrt. Alles ist wieder ganz normal und alltäglich. Nach Feierabend am Strand sitzen, den Robben zukucken und G.’s Gitarrengeklimper lauschen.

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Ob ich wohl glücklicher wäre, wenn ich in Hamburg oder Berlin leben würde?

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Ich habe meine Zweifel.

Saarbrücken

Hier hab ich mal richtig lange gelebt.

Heute morgen bin ich im Café Schrill (dem alten Hippiecafé aus den Achtzigern, damals noch das Café Jonas ¹) verabredet. Ich betrete das Schrill und kann mich kaum noch einkriegen vor Lachen.

Die wie immer unglaublich gutaussehenden Junghippiedamen hinterm Tresen schauen etwas verwirrt: Kommt ein Althippie rein und lacht sich erstmal kaputt.

Naja, es kommen ja öfters Psychiatriepatienten ins Schrill ;-). Ich habe aber eine super Ausrede.

Die Wirtin hat wohl in der Mottenkiste mit den Eighties-Konzertpostern sowie anderen Devotionalien gewühlt. Und mitten drin hängt die Werbung, die ich mal für das Café entworfen habe. Und ja, diese Anzeige war in der Zeitung ;-) !

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Vor dreißig Jahren. Dreißig Jahre!!! Ahhh!

¹) Also nach diesem, Dings, Althippie-Movie “Jonas, der im Jahr 2000 25 Jahre alt sein wird”. Ja, das Jahr 2000 lag in der Zukunft und war noch mysteriös weit weg ;-).

Zuhause

Offiziell sind die Feiertage vorbei, der Sturm hat abgeflaut und es kommen wieder Fährschiffe mit Gästen auf die Insel.

Es gab dem Hörensagen nach ein paar langgezogene kollegiale Trinkfeste, aber ich habe gepaßt. In den Achtzigern fand ich das cool, aber heute nicht mehr so. Das trifft sich gut, denn gut dreißig Jahre später wäre die Rekonvaleszenz-Phase doch schmerzhaft lang. Und das mit dem “Stihille Nacht…” kann man ja auch mal ganz wörtlich nehmen.

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Also bin ich den größten Teil meiner Freizeit über zu Hause. Zuhause stellt sich hier als eine Art sehr geräumiger Schiffskajüte dar (plus dem Raum in meinem Kopf, den Welten in Büchern und auf diversen Festplatten und Flash-Speichern). Ein Umzug ist etwas komplizierter als sonst, denn du kannst dein Gerümpel nicht einfach selbst in einen Mietwagen laden. Der Wohnraum auf der Insel ist absurd teuer und ohne Hilfe des Arbeitgebers nahezu unbezahlbar. Das liegt größtenteils daran, daß die wirklich schönen Häuser zwar im Winter leer stehen, aber trotzdem als Sommer-Ferienwohnungen reserviert bleiben. 

Meine Möbel und kistenweise Zeugs sind immer noch in einem Keller auf dem Festland und nach einem guten halben Jahr frage ich mich allmählich, wozu ich sie früher überhaupt gebraucht habe. Tisch, Stuhl, Bett, Badezimmer und Küche. Ein paar Bücher, Schreibutensilien und eigentlich ist Alles da.

Tütenmilch für den Kaffee ist allerdings gerade ausgegangen und morgen ist Sonntag. Hmpf.