Das Haus, das schläft

Dieses Jahr bin ich zu Weihnachten nicht auf dem Felsen, sondern ziemlich weit weg auf dem Festland. Das ist eine lange Geschichte, die für die meisten Leute nicht von Interesse ist. Und die anderen wissen sowieso schon Bescheid.

Es ist ein wenig anders, als mit einem Handbier an der Steilklippe zu stehen und in Richtung Südhafen zu schauen. Im Sommer war ich schon einmal hier und nannte es das Haus, das schläft. Doch nun sind seine Bewohner für ein paar Tage zurückgekehrt, ich stehe im Garten und fühle mich gleichzeitig fremd und zuhause.

Haltet die Ohren steif, Leute und macht es gut.

Ansage

Über Zugfahrten und was da unterwegs passiert, blogt man nicht. Das ist Twitterei unterster Schublade. Zwar habe ich seit 2009 einen Twitter-Account, habe ihn aber noch nicht benutzt. 

Ist aber auch egal, denn ich fahre gerade mit der Bimmelbahn durch Ostfriesland und der Schaffner sagt gerade den nächsten Halt durch. Der Norddeutsche gilt ja stereotyp als eher humorfreies Wesen, aber:

“Yo yo yo, wir halten mal kurz in Hechthausen. Wer aussteigen muss – tschüs und schönen Tag noch. Ansonsten gute Weiterfahrt!”

Der nächste Bahnhof ist Hammah, und tatsächlich, unvermeidlich:

“Nächster Halt Hammah. Ischa der Hammer, oder?”

Dann kommt Stade.

“In Kürze erreichen wir die wunderschöne Hansestadt Stade. Da sollte man eigentlich auf jeden Fall aussteigen. Wer trotzdem weiterfahren will – selber schuld, lohnt sich nicht.”

Trotzdem geht es dann weiter in Richtung Hamburg.

Liebe ZugbegleiterInnen: Was immer es heute zum Frühstück gab – esst mehr davon ;-).

Reality Check

Gestern bin ich vom Felsen in Richtung Festland aufgebrochen. Keine besonderen Vorkommnisse auf der Überfahrt. Deck 4 (wo man rauchen darf) ist wetterbedingt ziemlich leer.

Über Bord ist auch keiner gegangen. Yay!

Heute morgen im Hostel: Reality Check, Fernsehen. Gibt es natürlich auch auf dem Felsen, bei mir zuhause aber nicht. Kuckt sich das überhaupt noch jemand an?

Und dann mache ich mich auf den Weg zum Bahnhof.

Festland, bleiche Mutter.

Realitätsblase

So nennt man das heutzutage, wenn Menschen unsere superduper Kommunikationsmöglichkeiten so zurechtschustern, dass sie nur noch Informationen liefern, die einen in der eigenen Meinung und vermeintlichen Rechthaberei bestätigen.

Muss ich nicht machen. Ich lebe in einer anderen Realitätsblase. Sie ist 1.800 mal 600 Meter groß und Alles, was man hier tut oder lässt, geschieht in der ersten Person. Wenn du versuchst, dich hinter einer Partei, einer Religion oder  sonst einem flotten Spruch zu verstecken, kaufen die Insulaner dir diesen Mist einfach nicht ab.

Heute fahre ich aufs Festland, mit mulmigen Gefühlen. Ich habe schließlich auch die Nachrichten aus Berlin gelesen. Aber ich will ein paar Leute dort wiedersehen.

Trotzdem gehen mir die Worte eines der großen Miesepeter unserer Zeit nicht aus dem Kopf:

“Wenn das letzte Lebewesen

unseretwegen gestorben ist,

wie poetisch wäre es,

wenn die Erde sagen könnte,

mit einer Stimme, die

vielleicht

vom Grunde

des Grand Canyon heraufkäme:

‘Es ist vollbracht.’

Den Menschen hat es hier nicht gefallen.”

Kurt Vonnegut, “Requiem”