….und was seitdem geschah

Auch auf dem Felsen gab es Tage mit annähernd 30° Hitze.

Die Vogelgrippe erreichte den Felsen und ……

es gibt nur noch eine winzigkleine Kolonie. Wie gesund sie ist?

Das weiß keiner – und gestern fand ich eine Taube, die sich gegen eine Wand drückte – zu schwach, um den großen Zweibeinern auszuweichen.

Die Helgoländer Geschäftsleute klagen – das Geld sitze nicht mehr so locker bei den Gästen.

Man streitet sich über die Zukunft der Insel – Tourismus oder

erneuerbare Energien? –

Die einen fürchten, dass der Ausbau der neuerbaren Energien das Gesicht der Insel verschandele. Die anderen fürchten, dass Tourismus alleine den Felsen wirtschaftlich nicht halten wird.

Fünf Kandidat*innen haben sich zur Wahl gestellt, um Bürgermeister*in zu werden.

Die Gäste, die unter meinem Fenster ins Unterland zurückkehren, wandern durch eine Idylle, die auf sie wirkt, als lebe hier keiner mehr.

In anderthalb Stunden haben sie den Felsen umrundet, strömen dann ins Café, zum Schluss aufs Schiff – und heimwärts geht’s.

Man schnabuliert ein wenig am Felsen – aber was hat man gesehen, was gefühlt? – Will man sich wirklich von dieser Art Tourismus abhängig machen?

Draußen an der langen Anna herrscht nun Stille.

Die wenigen Basstölpel, die noch leben, können kaum den Himmel mit ihrem Schrei ausfüllen.

Und dennoch – hier wird das Herz weiter,

Ruhe kehrt ein

bei dem immer gleichen Schauspiel –

the earth ist turning clockwise – when you see it from here

“… und nächstens wird es Sommer”

So endet das Juni-Gedicht des guten alten Erich Kästner. Ja – der mit dem kleinen Emil, der mit Hilfe einer Gruppe von Kindern einen Dieb stellt. Immer noch ein tolles Beispiel für self empowerment. Ja – auch der, der die Entwicklung der Menschheit 1932 (!) humorvoll pessimistisch kommentiert.

Das Wetter mag sich nicht an Ferienkalender halten.

Wie schon am Himmelfahrtswochenende gibt es auch zu Pfingsten nicht Urlaubsfreudesonnenschein.

Wind und Wetter blasen so heftig, dass MS Nordlicht und der Adler Cat ihre Fahrten absagen.

Sonne und Regen wechseln stündlich….

Ich gehe raus und probiere meine neue Regenjacke aus. Von oben betrachtet sieht die See gar nicht so bedrohlich aus.

Aber der Sound am Fernmeldemast erzählt mir etwas anderes.

Es ist so laut wie ….. neben einer dicht befahrenen Autobahn? Nein – nicht vergleichbar. Dieser Gesang in den Wanten des Sendemastes ist beständig. Er legt sich ins Ohr und orchestriert den Blick aufs Meer.

Er verhält sich wie ein guter Soundtrack – unterschwellig sich einfügend, so dass er mit dem Bild verschmilzt…

Alles blüht ….

Der Wildkohl ……

die Wildrosen …….

der Weißdorn …..

die Palmen…

Die Nächte werden kürzer und manchmal bleibt der Horizont im Norden schon hell… (wenn die Nacht klar bleibt ;-)

Die Vogelwelt brütet – und da ist auch schon ein Junges da,

während andere noch Eier wärmen. Die Länge der Sitzung lässt sich an der Farbe des Gefieders ermessen.

Und da ist der Ernteplatz, an dem sich die Vögel das Polster für die Nester holen….

Im Wind stehen sie,

segeln gegen eine Bö hinaus und lassen sich zurücktragen vom Wind, der aus Westen gegen den Felsen bläst.

Weit draußen regnet es schon wieder …

eine Viertelstunde später vertreibt ein Platzregen eine Klasse, die gerade an der Anna angekommen ist.

Der Horizont verschwimmt….

Meine Regenjacke hat bestanden….

und ein paar Wochenendsegler treibt der Wind nach Norden.

Nichts muss ……

Dicht

Nun ist es also offiziell.

Ab Montag müssen alle Gäste abreisen. Weil das aber bei uns so eine Sache ist mit den Verkehrsverbindungen, gilt noch eine “Gnadenfrist” bis zum Mittwoch.

Helgoline (also die mit dem Katamaran) haben nämlich schon vergangene Woche den Schirm zugeklappt, als die neuen Shutdown-Verordnungen und Verfügungen am Horizont sichtbar wurden. Und Cassen Eils (die mit dem Helgoland-Schiff) haben den Fahrplan auf drei Tage pro Woche eingedampft. Aber die Passagierzahlen bewegten sich seit Tagen sowieso schon im bescheiden zweistelligen Bereich. Da hat dann jeder Fahrgast sein persönliches Crewmitglied ;-) .

Inzwischen gibt es auch ein offizielles Fazit der Gemeindeverwaltung.

Kurz gesagt: In einem “normalen” Jahr wären die Gästezahlen ein Desaster gewesen, in diesem Jahr hätten sie schlimmer sein können. Zwei Gäste wurden positiv auf das Virus-dessen-Name-allmählich-Schreikrämpfe-bei-mir-verursacht getestet, aber es ist keine Infektionskette entstanden. Puh!

Fe und ich laufen durchs Oberland, um nachzusehen, ob auch alle weg sind ;-).

Jo, scheint so. Unterwegs finden wir noch einen letzten Nachzügler der Steinschlange und sammeln ihn für die Nachwelt ein.

Die Brutvögel sind ebenfalls abgereist und der Felsen offenbart, wieviel Plastikmüll “wir” in die Nordsee geworfen haben.

Das ist das blaue und orangene Zeugs, das die Vögel nicht von Gras und Tang unterscheiden können. Und in dem sich dann jedes Jahr Jungvögel verfangen und zu Tode zappeln.

Das ist kein schönes Bild, also klickt es nur an, wenn ihr unbedingt die Folgen sehen wollt.

Wir überprüfen kurz, ob die Lange Anna noch steht. Check.

Dann geht es auf der windabgewandten Ostseite wieder zurück zu Licht, Wärme und Abendessen.

Liebe Leute, bleibt gesund und gebt nicht auf.

Ja, ich weiß, ich sollte mich erstmal selbst an meine klugen Ratschläge halten.

Fortschritt

Alles schreitet fort – unser Leben, der Planet auf seiner Bahn um die Sonne, das Hin und Her der Pandemie.

So geht der Sommer zu Ende. Der erste Herbststurm, der erste Tag, an dem man Strümpfe anzieht. Fortschritt.

Und was für ein Sommer das war:

Nachdem Ende Mai die Einreisebeschränkungen aufgehoben wurden, gab es doch noch so etwas wie eine Saison. Die Reedereien hatten sich verpflichtet, die Passagierzahlen pro Schiff zu halbieren und setzten daher zusätzliche Schiffe ein. Helgolines, die hauptsächlich auf ihren nagelneuen Katamaran setzen, holten sogar die San Gwann, eine zwanzig Jahre alte Autofähre mit bewegter Geschichte aus der Reserve.

So kamen dann doch noch halbwegs passable Gästezahlen zustande. So passabel, dass die Gemeindeverwaltung angesichts des Gedrängels auf der Hafenstraße dort für einige Wochen eine Maskenpflicht verkünden musste.

Das fanden manche Leute albern, aber mit dem Ende der Schulferien und den sinkenden Anreisezahlen konnte die Maskenpflicht inzwischen wieder aufgehoben werden.

Ich kann mir schon vorstellen, dass man bei uns in manchen Augenblicken vergessen kann, in welcher Situation die Welt sich gerade befindet.

Aber auch wenn wir weit entfernt von den großen Städten des Festlands mit ihrem Gewimmel und Gedrängel sind, so leben wir doch nicht auf einem anderen Planeten.

Bis jetzt ist es gelungen, Urlaubsgäste hier zu haben und gleichzeitig eine Infektionskette auf der Insel zu vermeiden. Noch ist es zu früh für verbindliche Zahlen, aber nach dem was mir andere Insulaner erzählen, werden wir wohl so etwas wie 30 Prozent einer normalen Sommersaison haben. Immerhin.

Eher unbeeindruckt von all diesen Dingen sind die Inselgäste an der Steilklippe. Da schreitet alles ganz hervorragend voran.

Zum ersten Mal seit Bestehen der Kolonie haben die Basstölpel ihre Nester weitgehend ohne die Gesellschaft knipsender Zweibeiner gebaut und die Ornithologen sind ganz aufgeregt, weil sich anscheinend die Population dadurch messbar vergrößert hat.

Den Tölpeln selbst ist das wahrscheinlich hochgradig schnuppe. Und selbst der nerdigste Vogelkundler wünscht sich nicht wirklich ein weiteres Lockdown-Frühjahr, um seine Datenbasis zu verbessern.

Inzwischen sind die ersten Plüschküken zu herumposenden Teeniebratzen fortgeschritten und der Brutfelsen beginnt ganz allmählich, sich zu leeren.

Einen deutlichen Fortschritt gibt es auch bei der Steinschlange zu verzeichnen.

Jeder dieser Steine erzählt eine kleine Geschichte, wenn man genau hinsieht. Die meisten sind witzig und kreativ, aber manche machen auch wehmütig und nachdenklich. Erstaunlich, was passiert, wenn man den Leuten einen kleinen Schubs gibt.

Allerdings müssen wir bald die Steine einsammeln (und ihnen ein neues Heim in der Inselschule geben), denn der Winter kommt und manche der frühesten Exemplare aus Sand- oder Kalkstein sind schon von Wind und Wetter zersprengt worden. Ein wenig schade, aber hey, Nordsee!

Mit den Gästeführungen ist es leider nichts geworden in diesem Sommer. Das liegt an einer Art Alptraum, den ich habe:

Fe steht als Lehrerin in ziemlich direktem Kontakt mit der Hälfte der Inselbevölkerung. Nicht nur epidemiologisch, aber eben auch. Was, wenn ich mich nun auch unters Volk mische und eines Tages nach Hause komme und, naja: Hallo Liebste, ich hab dir was mitgebracht, das kannst du morgen gleich mal in der Schule weitergeben...

So will ich eigentlich nicht in die Inselgeschichte eingehen. Vielleicht habe ich aber auch nur eine permanente Meise erworben durch diesen ganzen Corona-Mist.

Jedenfalls sitze ich zur Zeit wie in den schlechten alten Tagen wieder stundenlang vor dem Bildschirm und schreibe schreckliches Javascript und schrecklichen Unique Content für schreckliche Webseiten zu schrecklichen Honorarsätzen. Wollte ich eigentlich nie wieder machen.

Aber was solls, die Norderfalmkatze kommt ja auch damit klar, dass ihre Kraulquote massiv eingebrochen ist, seitdem bekannt wurde, dass auch Katzen das %$&?!!!-Virus übertragen können.

Vor ein paar Tagen habe ich der Besitzerin des Ladens, der hier Souvenirs aus Recycling-Kram verkauft, eine Tüte voll alter Speichermodule vorbeigebracht. Sie macht da Broschen und Schlüsselanhänger draus.

“Hast du denn irgendetwas zu tun, dass dir eine positive Rückkopplung gibt?”, fragte sie, nachdem ich fertig gejammert hatte und ich muffelte zurück: “Ich hab ne positive Rückkopplung zu meiner Liebsten. Das muss erst mal reichen.”

Aber sie hat ja recht.

Einfach mal Ausschau halten. And never mind the bollocks.

Komische Vögel

Auch auf Helgoland gibt es komische Vögel. Manche haben sogar Federn und Schnabel.

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Das geht schon direkt vor unserem Fenster los. In der Palme im Nachbarsgarten wohnt seit kurzem eine Sperlingsfamilie.

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Praktisch, denn da spart man viel Arbeit mit Nestbau und so. Einfach eine Höhle in den Faserpelz der Palme bohren und fertig ist die Laube.

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Dann gibt es noch die Basstölpel an der langen Anna. Deren Zahl hat in diesem Jahr sichtbar zugenommen. Ob das etwas mit der verlängerten Winterpause namens Lockdown und der damit verbundenen Abwesenheit der Zweibeiner zu tun hat, wissen wir erst im nächsten Jahr.

Jetzt kommen aber wieder Gäste hierher und die Tölpel sind ein sehr beliebtes Fotomotiv.

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Diese Basstölpeldame scheint jedenfalls zu ihrem Gatten so etwas zu sagen wie: “Schaatz, du hattest du hattest mir für dieses Jahr doch einen Brutplatz ohne Paparazzi versprochen…”

Enten und Gänse gibt es hier (fast) nur drüben auf der Düne. Da befindet sich nämlich der einzige Süßwasserteich in 70 Kilometern Umkreis.

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Manchmal macht aber auch Mama Ente einen Spaziergang am Strand. Mit Nachwuchs.

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Bin nur ich das oder muss noch jemand an Monty Pythons “Ministry of Silly Walks” denken?

silly walks

Na ja“, denkt dann die Ente wahrscheinlich, “wenn du meinen Gang albern findest, möchte ich dich mal beim Fliegen sehen.

Wachsen

Der Sommer kommt in desem Jahr auf besonders leisen Sohlen. Denn gerade als der Countdown zur Sommersaison begann, kam stattdessen der Shutdown.

Mir scheint, als hätten die Insulaner den etwas stoischer aufgenommen als manche Menschen auf dem Festland. Schließlich verbringt man hier etwa fünf Monate pro Jahr in einem jahreszeitlich bedingten Teil-Shutdown. Man nennt das aber “Winter auf Helgoland” oder auch “Schietwedder”.

Jetzt ist schon fast Juni und man wundert sich immer noch instinktiv, wenn man auf der Straße ein fremdes Gesicht sieht. Aber seit gestern dürfen wieder Gäste anreisen, die eine Zimmerreservierung haben.

So richtig los geht es aber erst morgen, da das Helgoland-Schiff immer noch nach einem reduzierten Fahrplan verkehrt.

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Anderen Lebewesen ist das alles pipapo, zum Beispiel dem Thai-Basilikum, das wir von einer Freundin geerbt haben, als sie wieder nach Hamburg zurückziehen musste.

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Oder der Eiche, die Fe aus dem Garten ihres früheren Hauses mitgebracht hat.

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Der Heidschnuckennachwuchs hat in den letzten zwei Wochen enorm an Gewicht zugelegt und bei den Basstölpeln wird weiter eifrig gebrütet und am Nest nachgebessert.

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Wenn sich Dinge sehr schnell entwickeln, heißt es manchmal, dass sie einem um die Ohren fliegen.

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Ok, an der Langen Anna fliegen uns die Basstölpel nur so um die Ohren. Hmm…

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Neue Hoffnungszeichen am Nord-Ost-Strand.

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Die Steinschlange ist nochmal ein gutes Drittel länger geworden.

Offensichtlich haben sich inzwischen auch Insulaner beteiligt, die dem schulpflichtigen Alter bereits entwachsen sind.

Bei genauerem Hinsehen entdeckt man neben vielen anderen Ramona und Antje, die im April hier geheiratet haben, einen Dachdeckergesellen auf der Walz, einen BuFDi, der seinen Dienst beim Verein Jordsand beendet hat, einen Stein, der bei Sturm so fror, dass ein mitleidiger Mensch ihm eine Mütze gehäkelt hat, Oma und Opa aus der Ferne und… huch, Edvard Munch???

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Ein letzter Spaziergang um die stille Insel, bevor die Saison mit einiger Verspätung an den Start geht.

Hoffentlich noch früh genug, um die wirtschaftliche Existenz vieler Insulaner zu retten und hoffentlich nicht so früh, dass die zweite Infektionswelle uns breitseits erwischt.

Die Steinschlange

Es ist Sonntag und wir gehen die Basstölpel besuchen. Aaach, denkt ihr vielleicht, die hatten wir doch letzte Woche schon.

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Aber sorry, sie werden nicht langweilig. Sie sind einfach hier. Und nach dem ganzen Krakeel in den vergangenen Wochen sind jetzt die ersten Eier da.

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Es gibt aber noch mindestens eine weitere interessante Spezies auf Helgoland. Sie werden Kinder genannt.

Oder auf Helgoländisch letj Mensk, also kleiner Mensch.

Auch sie leben seit fast zwei Monaten unter den Bedingungen der Pandemie: Wenig oder keine Begegnungen mit ihren Freunden und Freundinnen, denn dadurch könnten sie ihre Eltern oder Oma und Opa in Gefahr bringen. In meinem Kopf entsteht das Bild eines Kindes, das einen Rucksack schleppt, der eigentlich für sogenannte Erwachsene gemacht ist.

Die Inselschule hat nicht einfach aufgehört, ihre SchülerInnen zu unterrichten. Es gibt Email, es gibt ein System für digitale Klassenzimmer (und sehr viel Arbeit, das alles so holterdipolter umzustellen).

Aber all das ist ja nur die halbe Miete. Die andere Hälfte – und ich erinnere mich noch nach über vierzig Jahren daran – ist der Ort, wo man seine FreundInnnen (und manchmal auch FeindInnen) trifft. Also so, na ja, analog, nicht auf einem Bildschirm. Die Realität hat nach wie vor die bessere Auflösung.

Deshalb haben sich die Helgoländer Kinder die Steinschlange ausgedacht. Möglicherweise hat die Schuldirektorin dabei mitgeholfen, aber das macht ja nichts.

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Die Steinschlange lebt am Klippenrandweg des Oberlandes und besteht aus den verschiedensten Steinen (und davon haben wir reichlich), die man am Strand finden und bemalen oder sonstwie umgestalten kann.

Und damit gebe ich das virtuelle Mikrofon ab an die Kinder der Insel Helgoland.

Helgoländer Kinder, ich verneige mich (und entschuldige mich bei all denen, deren Stein ich nicht fotografiert habe).

Drinnen und Draußen

Geschätzte sechs Wochen sind es nun, seitdem wir mehr oder weniger verbindlich zum Stubenhocken ermutigt, aufgefordert oder gar verdonnert sind (letzteres eher im Ausland).

Fe und ich sind sowieso begnadete Stubenhocker und unsere Ausflüge sind inselbedingt meistens auf die Ausmaße des Felsens beschränkt. Selbst bei allem Ehrgeiz kann man nicht mehr als zwei Kilometer zurücklegen, ohne wieder an irgendeiner Wasserkante zu stehen. Sollte also keinen großen Unterschied ausmachen.

Trotzdem fühlt es sich wie ein Unterschied an. Es ist so, als säße ich unten am Siemensplatz vor einer superduper Pizza Quattro Formaggio und dann sagt der Kellner streng: “Die musst du jetzt aber ganz aufessen!”

Stubenhocker hin, Lockdown her, Lummenfelsen geht natürlich immer.

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Auf der Westseite wird schon eifrig bebrütet.

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Gegenüber auf der Ostseite wird das Grünzeug für den Nestbau geerntet.

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Nachmittags nach dem Einkaufen sitze ich dann an der Landungsbrücke und schaue auf die verlassenen Hotels. Sieht aus wie im Winter, nur ohne Sturm. Ganz normal. Aber es ist Ende April.

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Kein Schiff auf der Binnenreede, nur ab und zu ein einsamer Crew Transport der Windkraft-Techniker.

Selbst der Himmel über Helgoland ist anders. Der Felsen liegt unter den Flugrouten von Amsterdam und London in Richtung Skandinavien.

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Zur Zeit ist ein Kondensstreifen am Himmel jedoch eine kleine Sensation. Damit könnte ich eigentlich leben, wenn ich nicht wüsste, dass viele Menschen, die für Fluglinien oder Flughäfen arbeiten, jetzt kaum noch ein und aus wissen.

Vielen Insulanern geht es ähnlich, weil die Pläne der Gemeindeverwaltung vorsehen, den Inseltourismus nur seeehr vorsichtig und stufenweise wieder zuzulassen. Insel-Ökologien sind fragil.

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Manche nehmen es mit Galgenhumor wie einer unserer Nachbarn.

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Und es gibt ja auch gute Nachrichten. Die Inselbücherei hat wieder geöffnet. Nur… anders.

Ich schicke der Bibliothekarin vorab eine SMS: “Erschrick bitte nicht, wenn ich mit einem Schal im Gesicht vor der Tür stehe.” Sie antwortet: “Erschrick du bitte nicht, wenn ich mit einer Maske im Gesicht am Schreibtisch sitze ;-) .”

Dann stehen wir da und können uns ein albernes Kichern nicht verkneifen. Es ist ein wenig, als würde man sich unvorbereitet auf einer Party mit albernen Hütchen auf dem Kopf begegnen. Lachen mit Vermummung ist übrigens schwierig. Das bringt alles ins Rutschen.

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(Nein, dieses, ähhh, hübsche Foto stammt nicht aus der Bücherei, sondern von einer lustigen Hochzeitsfeier vor etwa eineinhalb Jahren.)

Davon abgesehen gibt es aber einen äußerst unalbernen und sinnvollen Plan. Wer selber in den Bücherregalen stöbern will, bekommt Einmalhandschuhe und zurückgegebene Bücher kommen mindestens 24 Stunden lang in Quarantäne.

Es hat sich nämlich herausgestellt, dass die vermaledeiten Viren – entgegen allem, was man vermuten würde – auf Papier wesentlich kürzer überleben als auf Metall oder Plastik. Noch nie fand ich es so sympathisch, dass jemand Bücher nicht mag.

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Eines der neuen Bücher stammt von unserer Pastorin. Super Lesestoff und für mich voller Aaach-ich-dachte-so-was-passiert-nur-mir-Erlebnisse.

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Da wir nur wenige Meter von der Kirche entfernt wohnen, laufe ich beim Einkaufen immer an ihrem Haus vorbei. Nach Gottesdienst als Livestream und Segen per Straßenkreide gibt es jetzt auch Segen-to-go zum Selberpflücken. Man muss sich halt was einfallen lassen mit dem Verkündigungsauftrag auf Distanz.

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Ich bin zwar ganz schön religiös aufgezogen worden (Geschmacksrichtung Katholik), aber seit gut vierzig Jahren habe ich keinen Segen mehr empfangen. Jetzt hängt er bei uns am Wohnzimmerschrank zwischen allerlei profanen Erinnerungsstücken. Thanks, Reverend ;-) .

flyer silvester 2019

Mein Blick fällt auf die Einladungskarte, die ich vor ein paar Monaten für die Silvesterparty der Hexenhausbande auf dem Festland gezeichnet habe. Kurz überlege ich, ob ich nicht ein neues Bild malen sollte, so à la “Liebes 2019, komm bitte bitte wieder zurück! So sch…. warst du ja gar nicht!”

Aber das ergibt natürlich keinen Sinn. Mein Gefühl sagt mir, dass es so oder so gekündigt hätte. Vielleicht sollte ich mal 2016 anrufen. Oder 1995.

Zweibeiner und Vierbeiner (plus ein Klopapier-Witz)

Da sind sie nun, die Feiertage. Aber so einen großen Unterschied spürt man nicht, weil wir seit Wochen in einer Art verordneter Schulschwänzer-Stimmung leben. Also trifft man beim Spaziergang durch das nördliche Oberland eine Menge Insulaner. Normalerweise hätten die (mich eingeschlossen) keine Zeit dafür, sondern würden die Gäste der Frühsaison betüddeln.

Für andere Insulaner ist aber “Business as usual”.

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Im Oberland gibt es eine freilaufende Herde von Heidschnucken. Die sind sozusagen als autonome Rasenmäher unterwegs und halten die Grasnarbe kurz.

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Außerdem können sie selber neue Rasenmäher bauen.

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Bäääh!

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Die Nistplätze an der Steilklippe sind komplett ausgebucht und in einem Monat wird es losgehen mit dem Lummensprung.

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Weiter oben bei den Basstölpeln kann es schon mal schwierig werden mit der Landefreigabe.

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Platz da!!! Keine Bremse!!!

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Uff.

Gelegentlich landet man versehentlich auch mal auf dem Kopf des Nachbarn. Dann pflanzt sich eine Woge von Gezeter durch die gesamte Versammlung fort und ich muss unwillkürlich an die absurden Saloonschlägereien in den alten Spaghetti-Western denken.

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Und wenn das alles zu nervig wird, ist es natürlich praktisch, fliegen zu können.

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Auf dem Rückweg kommen wir am Berliner Bären vorbei. Stoisch wie immer schaut er über den Südhafen hinweg.

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Vor der Hafeneinfahrt liegen ein paar Kriegsschiffe in ihrem typischen Ich-möchte-nicht-darüber-sprechen-Grau. Die kommen aus Belgien, den Niederlanden und Norwegen und… ja, was machen sie eigentlich? Krieg spielen? Ostereier suchen? Mal frische Luft schnappen?

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Die Crewschiffe der Windkraft-Techniker bevorzugen eher was Buntes. Natürlich fehlt das Weiß der Passagierschiffe.

Und dann gehen wir wieder nach Hause.

Aber halt, was wäre ein Blog-Eintrag im April 2020 ohne einen Klopapier-Witz?

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Erinnert ihr euch noch an das Bild vom 30.3.2020? Das Klopapier wartet immer noch auf seine Hamster.

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Wenn man näher hineinzoomt, gewinnt man dennoch weitere Erkenntnisse.

Nein, wir beißen nicht ins Klopapier, nicht heute und auch sonst nicht. Ich meine den weißen Zettel, den Sebastian links daneben an die Tür geklebt hat. Da wird erklärt, wie man selbst Backhefe machen kann. Die ist nämlich wirklich alle.

Also: Bestellungen? Wollen wir tauschen?

Fliegen

Gestern waren wir wieder am Lummenfelsen.

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Inzwischen sind alle Sitz- und Stehplätze vergeben. Die Lummen legen auf diesen zentimeterbreiten Felsbändern tatsächlich ihre Eier und brüten sie auch dort aus.

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Die Logenplätze sind schon längst von den Basstölpeln belegt. Da wird gebalzt, was das Zeug hält.

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Aber es gibt auch Junggesellen, die noch auf Partnersuche sind. Guckt mal, ich bin der größte und schönste und tollste. Und ich bin noch Single! Na???

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Anderswo ist schon der Nestbau im Gange.

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Zwei Frauen vom Verein Jordsand bringen büschelweise getrocknetes Gras mit, damit die Tölpel nicht so viel Plastikmüll anschleppen, um ihre Nester zu bauen.

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Ey! Schnabel weg! Das ist meins!

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Ein wirres Neidgefühl: Die haben ganz andere Sorgen. Und sie können fliegen. Warum können wir das nicht?

Ich war nie besonders gut in Biologie, aber natürlich weiß ich so ungefähr, warum Menschen nicht in der Lage sind, aus eigener Kraft zu fliegen. Stoffwechsel, Knochenbau undsoweiter. Wir sind einfach zu schwer.

Und vielleicht ist es nicht nur die physische Schwere. Wir müssen ja auch unsere Newsticker refreshen, Parteien wählen, Steuererklärungen ausfüllen und uns Sorgen wegen der Miete und der Gehälter machen.

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Auf dem Heimweg stellen wir fest, dass die Inselpastorin nicht nur Internet-Livestreams für ihren Verkündigungsauftrag einsetzt.

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Sie kann auch Straßenkreide.

Später am Abend werkeln Fe und ich an der Pizza, als plötzlich Musik von draußen erklingt. Der Nachbar von schräg gegenüber steht auf dem Balkon und bläst auf der Trompete ein Abendlied.

Irgendwie können wir doch fliegen. Jetzt jedenfalls.

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Warum können wir das sonst nicht?